Was sind die Pläne des neuen Vorstands?
Präsident Dräger beschreibt im Interview, welche Herausforderungen er sieht und wie er sie meistern
möchte. Es wird auf die Aufgaben und Zielstellungen eingegangen, die während der fünfjährigen Amtsausübung für wichtig erachtet werden.
1. Welche Gründe haben Sie bewogen, zu kandidieren?
Zuerst ist es mir wichtig, kurz auf das Wahlergebnis einzugehen, das ich sowohl als Würdigung der seit 2013 von mir geleisteten Arbeit auffasse, als auch als Verpflichtung für
die Ehrenamtsausübung in der Legislatur bis 2029 verstehe. In meiner Einschätzung hat sich nichts geändert, es ist wichtiger denn je, dass sich unser Berufsstand das angemessene Gehör verschafft.
Obwohl Ingenieurinnen und Ingenieure einen relevanten Beitrag zur wirtschaftlichen (und damit gesellschaftlichen) Entwicklung leisten, wird dem Berufsstand nicht die Aufmerksamkeit entgegengebracht, die
ihm zusteht. Deshalb ist es weiterhin mein Ziel dazu beizutragen, die berufliche Selbstverwaltung zu stärken und berechtigte berufspolitische Interessen zu adressieren.
Dabei ist mir die Unverwechselbarkeit der Kammer durch „Gesichtzeigen“ und eindeutiges „Stellungbeziehen“ auch
in der politischen Gesellschaft sehr wichtig. Viele andere Kammern schauen auch auf uns und zollen uns Respekt, weil wir auch unter schwierigen Bedingungen immer guten
Kontakt zu unseren Regierungen gepflegt haben, unabhängig davon, ob wir unsere Positionen durchsetzen konnten oder nicht. Wir wollen auch für unsere neue Landesregierung eine streitbare und respektierte Kammer bleiben.
2. Welche Themen sind Ihnen bei der Ausübung des Ehrenamtes besonders wichtig? Welche Impulse möchten Sie in der Vorstandsarbeit setzen?
Aus meiner Sicht ist es essentiell, dass endlich Fortschritte bezüglich des Umfangs der durch die Kammer vertretenen Ingenieurinnen und Ingenieure erreicht werden. Eindeutige Botschaft an die politische Ebene muss sein, dass
für am Bauwesen beteiligte Planerinnen und Planer Pflichtmitgliedschaften in den Ingenieur- und Baukammern der
Länder eingeführt werden. Unser Berufsstand ist hier benachteiligt, denn andere Freie Berufe weisen verpflichtende Kammermitgliedschaften für ihre Berufsträgerinnen
und -träger auf. Beispielgebend darf hier vielleicht auf die ebenfalls planenden Architektinnen und Architekten verwiesen werden.Alle sechszehn Länderingenieurkammern unternehmen
unter dem Dach der Bundesingenieurkammer gemeinschaftlich gezielte Anstrengungen, um diesen unbefriedigenden Zustand schon auf Bundesebene zu überwinden. Ich komme aus
Nordthüringen. Bis Niedersachsen ist es nur ein Katzensprung. Dort gelten aber andere Regeln als bei uns. Auch die Bauordnung sieht anders aus. Dies ist
insofern auch auf alle anderen Länder übertragbar. Hier ist eine Vereinheitlichung erforderlich, denn Beratung, Planung, Bau und Betrieb basieren auf physikalisch-mathematischen
Grundlagen und machen insofern vor Ländergrenzen nicht halt. Und deshalb sind wir Kammern an entscheidenden Stellen auf die Hilfe des Gesetzgebers in den Ländern und dem Bund angewiesen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die europäische Ebene viele Entscheidungen trifft, die im Nachgang auf Länderebene umzusetzen sind. Unabhängig davon, dass berechtigte Anliegen des Berufsstandes bei der Formulierung Brüsseler
Vorgaben fast nie Gehör finden, setzt Deutschland EU-Vorgaben in einer Form der Übererfüllung um („Gold-Plating“).
Im Dialog mit der neu gewählten Thüringer Landesregierung werde ich die relevanten Sachverhalte (Kontext Bundesrat) im Klartext ansprechen und insbesondere darauf hinweisen,
dass dem stetigen Bekenntnis zum Bürokratieabbau endlich Taten folgen müssen.
3. Wie sollte aus Ihrer Sicht mit den Themen Vergabe und HOAI zukünftig umgegangen werden?
Infolge des „Ampel-Aus“ wurde auch das Verfahren zur Novellierung der HOAI unterbrochen. Nach letzten Informationen ist der Abschlussbericht des Wirtschaftsgutachtens
für Ende Januar 2025 avisiert worden, was eventuell darauf zurückgeführt werden kann, dass angesichts der vorgezogenen Neuwahlen eine zeitliche Entlastung für das Gutachterteam eingetreten sei. Der Berufsstand hat weiterhin ein
großes Interesse an einer zeitnahen Wiederaufnahme des Verfahrens, denn die Leistungsbilder und Honorartafeln der HOAI wurden zuletzt im Jahr 2013 angepasst.
Es ist unstrittig, dass seitdem die Planungsanforderungen in allen Bereichen deutlich angestiegen sind.
Die Binsenweisheit, dass unsere Ingenieurinnen und Ingenieure auskömmliche Honorare kalkulieren müssen, hat jedoch nichts an ihrer Daseinsberechtigung verloren. Ich
gehe davon aus, dass die Vertreterinnen und Vertreter unseres Berufsstands nichts gegen einen fairen und transparenten Wettbewerb haben, wobei jedoch gelten muss, es wird ein Leistungswettbewerb geführt und kein Preiswettbewerb.
4. Sind Sie der Ansicht, dass im Bauwesen tätige Ingenieurinnen und Ingenieure, die sicherheitsrelevante Planungsdienstleistungen erbringen, Mitglied in der beruflichen Selbstverwaltung sein sollten?
Hier möchte ich meine Positionierung unter Frage 2 noch dahingehend ergänzen, dass beispielsweise in einigen Länderbauordnungen eine der Voraussetzungen, um in die Liste
der Nachweisberechtigten für Standsicherheit eingetragen zu werden, die Mitgliedschaft in der jeweiligen Länderingenieurkammer ist.
In der Novelle der Thüringer Bauordnung, die im Juli 2024 in Kraft getreten ist, wurde dieser Umstand leider nicht berücksichtigt. Hier haben wir intensive Gespräche im damaligen TMIL geführt.
Obwohl dieses Modell in anderen Bundesländern erfolgreich funktioniert, haben die Verantwortlichen leider keine Bereitschaft gezeigt, diesen Impuls des Berufsstandes aufzunehmen. Seitens der Kammer ist es jedoch
ausgesprochen wichtig, die Thüringer Bauordnung bzw. das Thüringer Architekten- und Ingenieurkammergesetzes dahingehend weiterzuentwickeln. Hier geht es nicht nur um sicherheitsrelevante Dienstleistungen.
Die „Vergesellschaftung“ von Listeneintrag und Kammermitgliedschaft sollte dadurch gedeckt sein, dass ein hinreichendes Gemeinwohlbelangen überwiegt und für im Bautätige Ingenieurinnen und Ingenieure,
die besondere sicherheitsrelevante Tätigkeiten erbringen, nicht als unverhältnismäßig einzuschätzen ist.
Die Befürchtung, dass Deutschland sukzessiv hinter andere Länder zurückzufallen droht, kann der Teileinsturz der CarolaBrücke in Dresden sicher nicht entkräften. Dass Einrichtungen
der beruflichen Selbstverwaltung und standesrechtliche Vorschriften vor allem als Wettbewerbshindernisse wahrgenommen und nicht als Garanten des Schutzes und der Stärkung
von Verbraucherinteressen verstanden werden, ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar. In anderen Berufsgruppen, z.B. praktizierenden Ärzten, wird diese Frage nicht gestellt.
5. Welche Bedeutung messen Sie dem Freien Ingenieurberuf und dessen Organisation in der beruflichen Selbstverwaltung zu?
Der Freie Ingenieurberuf ist durch eine besondere berufliche Qualifikation gekennzeichnet und es werden persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig geistig-ideelle
Leistungen im gemeinsamen Interesse mit den Auftraggebern und der Allgemeinheit erbracht. Der Erhalt und die Stärkung des Freien Ingenieurberufs und seiner Organisation zur
beruflichen Selbstverwaltung sind, nicht zuletzt im Kontext zu den Möglichkeiten der wirtschaftlichen und damit gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands, enorm bedeutsam.
Globalisierung, demographische Entwicklungen und die fortschreitende Digitalisierung führen zu tiefgreifenden Strukturveränderungen in der Wirtschaft, sowohl in Europa, in
Deutschland und auch in Thüringen. Dass diese Entwicklung angemessen begleitet werden muss, verdeutlicht der derzeit
desolate Auftragsbestand in weiten Teilen der Wertschöpfungskette Bau. Es bedarf einer politischen Rückendeckung,
um erreichte Positionen nicht zu gefährden, das Erreichte muss gestärkt und nach Möglichkeit ausgebaut werden.
Der Eindruck ist sicherlich nicht falsch, dass infolge undifferenzierter Abgleiche auf europäischer Ebene die Bedeutung
unseres Berufsstandes und der Freien Berufe insgesamt teilweise verkannt und vielleicht sogar missverstanden wird.
Zentrale Themen müssen der Bürokratieabbau und die Befassung mit dem Fachkräftemangel sein. Abschließend möchte ich zusammenfassend verdeutlichen,
das Bauen keine Geldverschwendung ist und nur den Bundes- und Landeshaushalt belastet. Bauen schafft Werte und
ermöglicht ein Leben in unserer modernen Gesellschaft. Dabei spielt bezahlbarer Wohnraum eine besondere Rolle, denn
dies gehört zum Grundrecht der Menschen in Deutschland und Europa, genauso wie eine gut funktionierende Infrastruktur. Dieses sowie u.a. die Stärkung des ländlichen Raumes
sind Ingenieurthemen, mit denen wir unserer gesellschaftspolitischen Verantwortung auch im Hinblick auf den Erhalt und der Entwicklung unserer Demokratie gerecht werden müssen.