Am 14. März 2023 trafen sich der Präsident des VSVI Thüringen e. V., Herr Dr. Frank Greßler, der Vizepräsident des VSVI Thüringen e. V., Herr Dipl.-Ing. Thomas Kleb, der Vorsitzende des VBI Landesverbandes Thüringen e. V., Herr Dr.-Ing. Hans-Reinhard Hunger, Herr Dr.-Ing. Hunger engagiert sich über dies ehrenamtlich als Vizepräsident der Ingenieurkammer Thüringen, und der Geschäftsführer der beruflichen Selbstverwaltung der Ingenieurinnen und Ingenieure in Thüringen, Herr Dr.-Ing. Rico Löbig, um sich über die Rahmenbedingungen auszutauschen, mit denen sich der Berufsstand gegenwärtig auseinander setzen muss und welche Herausforderungen noch zu erwarten sind.
Die regelmäßigen Treffen und der damit verbundene direkte Austausch werden von den Teilnehmern als eine geeignete Form der Netzwerkarbeit angesehen, denn sowohl der fachliche Dialog als auch die Kontakte zwischen den Vereinen und der Kammer können gepflegt werden.
Themen die bei dem Treffen angesprochen wurden waren u. a. die gegenwärtige Situation in der Wertschöpfungskette Bau, die möglichen Entwicklungen im Vergaberecht sowie der Fachkräftebedarf. Nachfolgend wird darauf kurz Bezug genommen.
Im Vergleich zu anderen Branchen war der planende Bereich auch nach der Pandemiezeit relativ wirtschaftlich solide aufgestellt. Gegenwärtig ist jedoch zu registrieren, dass aufgrund der Zinsentwicklung insbesondere der Wohnungsbau ins Stocken geraten ist.
Das ambitionierte Ziel der Bundesregierung 400.000 neue Wohnungen jährlich zu errichten, droht zu scheitern. Um eine Trendwende in diesem Bereich zu erreichen, müssen durch die Bundesregierung ordnungspolitische sowie finanzielle Weichen entsprechend gestellt werden, zumal die Schaffung von Wohnraum mit sozial- und familienpolitischen Aspekten wechselwirkt. Die beabsichtigte Änderung des Vergaberechts wird zu einer erheblichen Zunahme europaweiter Ausschreibungen für Planungsleistungen von Bauprojekten führen.
Eine Streichung des § 3 Abs. 7 Satz 2 der Vergaberechtsverordnung (VgV) zur Auftragswertberechnung von Planungsleistungen hat zur Folge, dass die öffentliche Hand und auch die teilnehmenden Unternehmen zusätzlich belastet werden, da bei europaweiten Ausschreibungen der Bearbeitungsaufwand größer ist. Auch Verzögerungen bei der Planung und Abwicklung von Bauprojekten sind nicht auszuschließen.
Zudem ist naheliegend, dass durch die neue Regelung der Wettbewerb eingeschränkt wird, denn viele, vornehmlich kleinere Mitgliedsbüros der Länderingenieurkammern, nehmen an öffentlichen Vergabeverfahren nicht (oder nur zurückhaltend) teil. Dass der Rückzug von Ingenieurbüros von der öffentlichen Auftragsvergabe durch die weitere Zunahme von Formalismen forciert wird, erscheint plausibel. Ein an Dynamik verlierender Wettbewerb dürfte auch wahrnehmbare Konsequenzen für Städte und Kommunen hervorrufen und mit dem Effekt einhergehen, dass ein gut funktionierender und nahezu flächendeckender Markt für Planungsleistungen gefährdet wird. Überdies ist zu registrieren, dass es insbesondere bei Planungsleistungen offenkundig keinen europäischen Anbietermarkt zu geben scheint. Viele Ingenieurbüros leiden darunter, dass zwar die Einstellung von Ingenieurpersonal beabsichtigt ist, jedoch kein passendes Personal zur Verfügung steht.
Es ist offenkundig, dass insbesondere die Position der „kleinen Ingenieurbüros“ im Wettbewerb um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch das HOAI-Urteil vom 4. Juli 2019, und das daraus resultierende Vergabegebaren einer wahrnehmbaren Anzahl öffentlicher Auftraggeber haben dazu beigetragen, eine Schwächung erfahren hat. Die „Nachlasskultur“ bei der Vergabe von Ingenieurdienstleistungen beeinflusst die Möglichkeiten, die den Ingenieurbüros im Wettbewerb um Fachkräfte zur Verfügung stehen. Naheliegende Schlussfolgerung ist, dass es auch immer schwieriger werden dürfte, Nachfolgeregelungen für Ingenieurbüros erfolgreich zu gestalten. Der Altersdurchschnitt in der Mitgliedschaft der beiden Vereine und der Kammer ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich der Trend, weg von der beruflichen Selbstständigkeit hin zu Beschäftigungen im Angestelltenverhältnis, verstetigt. Die demografische Entwicklung, Arbeits- und Entlohnungsmöglichkeiten im Öffentlichen Dienst gekoppelt mit Work-Life-Balance-Ansprüchen sowie die Anzahl an zu erwartenden Absolventinnen und Absolventen ingenieurtechnischer Fachrichtungen weisen darauf hin, dass die meisten Ingenieurbüros ihren Personalbedarf zunehmend schwerer decken werden können.
Ein hochentwickeltes Industrieland ist auf Fachpersonal angewiesen. Insbesondere der ausgeprägte Mangel im MINT-Bereich gibt Anlass zur Sorge, den eine zu geringe Anzahl an Ingenieurinnen und Ingenieuren bedingt, dass sich der Infrastruktur, der Energieversorgung und anderen Technologiebereichen nicht mehr so gewidmet werden kann, wie es eigentlich die angekündigten Transformationsprozesse erfordern. Immer weniger Studierende, die MINT-Fächer belegen, die bereits jetzt bestehende Personallücke in MINT-Berufen und der in den kommenden Jahren anstehende Renteneintritt von MINT-Personal darf vielleicht als „toxische Mischung“ eingeschätzt werden, die das Potential aufweist, die Wettbewerbsfähigkeit, die Innovationskraft und letztendlich den Wohlstand von Deutschland zu gefährden.
Dr.-Ing. Rico Löbig
Geschäftsführer der Ingenieurkammer
Thüringen