Unser Anlass
Die Vergabe von komplexen Planungsleistungen im Baubereich an Ingenieure zu ruinösen Preisen greift um sich!
Diese Entwicklung hatten wir als erfahrene Planungsingenieure befürchtet, als Folge des EuGH-Urteils zur HOAI vor ca. einem Jahr, nachdem die Mindest- und Höchstsätze der HOAI nicht mehr europarechtskonform sind.
Seitdem erhalten meistens die Planungsbüros den Zuschlag, die das billigste Angebot vorgelegt haben, d. h. die das geringste Honorar anbieten, ohne das die Qualität der Planung wesentliches Prüfkriterium der Vergabeentscheidung ist.
Die Prüfung der Angemessenheit der Honorare und die Gewichtung des Zusammenhangs zwischen Honorar und Qualität spielt daher in den Vergaben oftmals keine Rolle.
Uns sind aktuelle Vergaben auf Angebote mit 20 % – 40 % Abschlag und Ingenieurstundensätze von 37,50 € bekannt, welche nicht auskömmlich sein können. Auf einigen Vordrucken der öffentlichen Auftraggeber zur Honorarermittlung/zum Honorarangebot ist bereits eine Zeile „Preisabschlag“ vorgegeben. Das ist eine klare Aufforderung, die Honorierungstabellen der HOAI, welche auskömmliche Honorare beschreiben, zu unterschreiten.
Bereits jetzt hat infolge der Vergaben zu nicht auskömmlichen Honoraren die Zahl der Verhandlungen und Streitigkeiten zu Nachträgen stark zugenommen.
Unser Appell
Der Zerstörung unserer vielfältigen Planungskultur müssen wir alle entschieden entgegentreten!
Es ist nicht plausibel, dass bei der Vergabe von Ingenieurdienstleistungen im Baubereich hochrangige, komplexe Referenzen gefordert und bewertet werden und gleichzeitig die Angemessenheit des Honorars bei der Vergabe nicht berücksichtigt wird. Zumal es politischer Wille ist, dass die HOAI als Orientierungsrahmen für ein auskömmliches Ingenieurhonorar auch zukünftig als Verordnung bestehen bleiben soll.
Es ist nicht plausibel, dass die Politik und die Branche eine Baukultur in Deutschland befördern will, und gleichzeitig die öffentlichen Auftraggeber bei den Vergaben nur die Billigsten beauftragen.
Es ist nicht plausibel, dass wir die gigantischen ingenieurtechnischen Bauaufgaben vor Augen haben und gleichzeitig eine Wüste in unserem Ingenieurnachwuchs akzeptieren. Können wir heute mit gutem Gewissen jungen Leuten zu einem Bauingenieurstudium oder gar zur Gründung eines Ingenieurbüros raten, wenn wir gleichzeitig wissen, dass seit über 15 Jahren in allen Branchenanalysen die Bauingenieure konstant auf dem letzten Platz der Gehaltsentwicklung zu finden sind?
Es ist nicht plausibel, dass Innovationen und Qualität in der Bauplanung systematisch ignoriert werden. Faire honorierte Ingenieurwettbewerbe sind schon lange aus dem Ingenieuralltag verschwunden. In Thüringen sind uns in den letzten Jahrzehnten gerade einmal zwei Ingenieurwettbewerbe nach der Richtlinie für Planungswettbewerbe (RPW) bekannt.
Für die wissenschaftlich ermittelte Entwicklung der Bauschäden und die Zunahme der Schadenskosten lohnt sich ein Blick in den von der VHV-Versicherung in Auftrag gegebenen Bauschadensbericht Hochbau des IFB 2020 – Wer billig plant, baut teuer.
Unsere Forderungen
- Erhaltung und Ausbau des leistungsfähigen, unabhängigen und qualitativ hochwertig arbeitenden freiberuflichen Planungsmarktes für Ingenieurleistungen in Deutschland.
- Vergabe von öffentlichen Beratungs- und Planungsleistungen nur an Ingenieure, die ihre fachliche Qualität nachgewiesen haben. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist im Baubereich die Kammermitgliedschaft, denn diese garantiert die Unabhängigkeit der Planung von Leistungs- und Lieferinteressen und sichert Planungsleistungen auf hohem fachlichem Niveau (fachliche Eintragungsprüfung und Weiterbildungsverpflichtung für die Kammermitglieder etc.).
Die Kammermitgliedschaft ist in die Vergabebewertung verbindlich einzubeziehen.
In diesem Sinne soll sich der Thüringer Gesetzgeber auch im Bereich der Vergabe von freiberuflichen Leistungen eigene Regeln (Selbstverpflichtung) auferlegen und den Orientierungsrahmen der HOAI für eine auskömmliche Honorierung der freiberuflichen Dienstleistungen zugrunde legen, um die Arbeitsplätze in den Ingenieurbüros dauerhaft abzusichern. - Bewertung von Angeboten nach objektiven projektbezogenen Kriterien durch eine auf die Ingenieuraufgabe bezogene fachkompetente Kommission.
- Bei Beurteilung der Preisbildung ist der Orientierungsrahmen der HOAI zugrunde zu legen und die Ingenieurvergütung an die Art und den Umfang der Aufgabe sowie der benötigten Leistungen auszurichten. Um die Auskömmlichkeit der Honorare, aber auch einen angemessenen Preis für die angefragte Leistung sicherzustellen, muss die höchste Bewertung bei der Vergabe beim Durchschnitt der angebotenen Preise liegen. Dazu werden neue gesetzliche Regelungen in der Gesetzgebung gefordert.
- Auslobung von Ingenieur- bzw. integrierten Architekten/Ingenieurwettbewerben nach RPW. Bewertung der Wettbewerbe und Vergabe von Planungsleistungen aufgabenbezogen nach Qualitätskriterien.
- Transparenz und Fairness zwischen Bauverwaltungen und Freiberuflern im Wettbewerb um unsere Ingenieurfachkräfte.
- Eine nachhaltige Ingenieurausbildung auf breiter wissenschaftlicher Grundlage an Universitäten und Fachhochschulen. Die Einbindung qualifizierter praxiserfahrener Lehrbeauftragter für die vielfältige Spezialisierung. Eine prüfbare verbindliche Selbstverpflichtung der Beratenden und planenden Ingenieure zur kontinuierlichen Fortbildung.
AK Wettbewerb und Vergabe der Ingenieurkammer Thüringen
i. A. Vorsitzender des AK
Dipl.-Ing. Rüdiger Burkhardt
Erfurt, den 27.08.2020