Der Wohnungsneubau befindet sich in einer ernsthaften Krise, denn gestiegene Zinsen, eine hohe Inflation und enorm gestiegene Baukosten lähmen die Branche zusehends.
Situationsbeschreibung: Während die Nachfrage nach Wohnraum unverändert weiter steigt, sinkt das diesbezügliche Angebot, da die Anzahl neu fertiggestellter Wohnungen den von der Bundesregierung angestrebten Wert von 400.000 Wohnungen pro Jahr nicht erreichen wird, sondern ggf. sogar unter den Wert von 300.000 Wohnungen fällt.
Da jedoch in Deutschland etwa 400.000 neue Wohnungen pro Jahr benötigt werden, wird die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage zusehends größer. Gegenwärtig bricht die Anzahl der Baugenehmigungen ein und Bau-beginne werden seltener, daraus ist zu schlussfolgern, dass der Tiefpunkt der Entwicklung im Wohnungsneubau noch bevorsteht. Derzeit (noch) laufende Bauvorhaben können das Ausmaß der bevorstehenden Ernüchterung lediglich verschieben, denn die Zahl der Wohnungen, die ab 2025 auf dem Wohnungsmarkt neu hinzukommen werden, dürfte nochmals geringer ausfallen.
Nebeneffekt: Zurückgehende Auslastung, in welchem Wirtschaftsbereich auch immer, führt früher oder später zur Freisetzung von Arbeitskräften.
Überdies ist bemerkenswert, dass die Lage am Wohnungsmarkt mittlerweile auch für Durchschnittsverdiener schwierig geworden ist und selbst Gutverdiener in Metropolstädten bzw. an gesuchten Standorten es nicht mehr leicht haben, Wohnraum anzumieten.
Faktisch ist es so, dass an gewissen Standorten keine Mietwohnungen mehr verfügbar sind, d. h. es ist eine Situation eingetreten, bei der selbst Geld nicht mehr weiterhilft. Es ist zu befürchten, dass sich diese dramatische Situation weiter zuspitzt. Da weder Nachverdichtung noch Aufstockungen allein den Mangel an Bauland kompensieren können, ist es notwendig, auch weiter Bauland auszuweisen. Ein zusätzlicher Faktor, der das Bauen verteuert ist die vorhandene Regelungsdichte, denn der Erlass ständig neuer und verschärfter Vorschriften führt zwangsläufig zu einem komplexen und kostenintensiven Bauen. Viele der neuen Klima-, Brand- oder Schallschutznormen erscheinen nachvollziehbar, tragen jedoch dazu bei, den Neubau in Deutschland fast unbezahlbar zu machen (im Sinne der Refinanzierung getätigter Investitionen).
Selbstverständlich muss auch die Zinsentwicklung betrachtet und eingeordnet werden. Die Zinsen sind mittlerweile auf etwa vier Prozent gestiegen. Immobiliendarlehen Anfang der 1990er Jahre lagen jedoch um die acht Prozent und zu dieser Zeit wurde auch gebaut. Es ist wahrscheinlich, dass die Zinsen nicht wieder auf das Niveau der vergangenen Jahre von einem Prozent oder weniger fallen werden. Mit dem neuen, eigentlich „normalen Zinsniveau“, muss sich arrangiert werden.
Baulandmangel und steigende Anforderungen haben die Preise sukzessive nach oben verschoben und die Niedrigzinsphase hat diesen Effekt überdeckt, das heißt, dass ehemals „billige Geld“ hat eine Ausgleichsfunktion übernommen. Der Anstieg der Materialkosten (Ursachen u. a.: Pandemie, Krieg in der Ukraine), in Kombination mit der Vervielfachung der Bauzinsen, hat letztendlich den Wohnungsbau in seinen Grundfesten erschüttert.
Die Gemengelage (Zinserhöhung, Baulandmangel, bürokratische Anforderungen, Vorschriftenvielfalt) ist also vielfältig. Entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, ist es keinesfalls einfach, zeitnah praktikable Lösungsvorschläge zu formulieren. Zum Teil sind hier auch die Ingenieure und Ingenieurinnen mit ihrem Fachwissen gefragt. Wichtig sind aber auch belastbare Ergebnisse einer schwierigen politischen Abwägung, denn es ist klarzustellen, wie viel man sich Klimaschutzmaßnahmen kosten lassen will und welche Gestaltungsmöglichkeiten effizient und angemessen sind.
Gibt es überhaupt Chancen für die nahe Zukunft, da der massive Einbruch des Wohnungsbaus bereits eingetreten ist? Vielleicht können die Einführung eigenkapitalersetzender Darlehen für Ersterwerber, die (zeitlich begrenzte) Schaffung steuerlicher Vergünstigungen (z. B. Aussetzen der Grunderwerbsteuer beim Ersterwerb, reduzierter Mehrwertsteuersatz auf Bauleistungen etc.) und natürlich eine forcierte Deregulierung in den diesbezüglichen Diskussionen eine Rolle spielen.
Ebenso ist die gesellschaftliche Tragweite der Entwicklung nicht zu unterschätzen, denn es besteht die Gefahr sozialer Verwerfungen, wenn zu wenig neue Wohnungen gebaut werden. Der Anteil am Einkommen, der für die Miete ausgeben werden muss, wird weiter steigen (höchstwahrscheinlich schneller als die Löhne), denn um Bauprojekte wirtschaftlich zu gestalten, sind mittlerweile Kaltmieten im Bereich von ca. 17 Euro pro Quadratmeter keine Ausnahme mehr. Da der Zuwanderungssaldo die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum zusätzlich befeuert, ist schnelles Handeln gefragt.
Die Bauwirtschaft in Thüringen ist von dem empfindlichen Auftragsrückgang nicht ausgenommen. Laut Statistischem Landesamt betrug der Auftragsrückgang von Januar bis Mai 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitraum 87,5 Millionen Euro, das entspricht einem Rückgang um 8,8 Prozent. Im Mai 2023 waren es sogar 15,5 Prozent Aufträge weniger als im Mai 2022.
Am 14.07.2023 ist, nach grundlegender Überarbeitung, die „Richtlinie zur Förderung des bezahlbaren Wohnens im Freistaat Thüringen“ in Kraft getreten, wobei die unterschiedlichen Bedarfe und Entwicklungsperspektiven der großen Städte in Thüringen einerseits und des ländlichen Raums andererseits, bei der Wohnungsbauförderung des Freistaats ab dem Programmjahr 2023 differenziert berücksichtigt werden. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Baubranche ist das Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft bestrebt, Bauwillige im sozialen Mietwohnungsbau im Rahmen der Wohnungsbauförderrichtlinie zu unterstützen, beispielsweise wird erstmals eine Indexregelung zur Bestimmung der förderfähigen Kosten eingeführt, um die stark gestiegenen Baukosten besser zu berücksichtigen.
Mit der neuen Richtlinie möchte der Freistaat den Mietwohnungsneubau weiter verlässlich fördern, wobei mehr Zuschusskomponenten als bisher vorgesehen sind. Neben Zuschüssen für Energieeffizienz, Barrierefreiheit und eine verlängerte Belegungsbindung kann auch sozialer Wohnungsbau, der auf ökologisch nachhaltiges Bauen setzt oder Ortskerne aufwertet, zusätzlich gefördert werden. Berücksichtigt werden auch architektonisch, städtebaulich oder gebäudebedingte Mehrkosten für Bauherren sozialer Wohnungsbauprojekte.
Die bereits eingetretene Krise erfordert schnelles Handeln, damit sich diese ungünstige Konstellation nicht verfestigt, denn sollten die Finanzierungskosten für den Wohnungsneubau weiter steigen (bei parallel abnehmender Kaufkraft – Inflation) und gleichzeitig die Preise für Wohneigentum verfallen (Kontext: Auswirkungen des beabsichtigten Gebäudeenergiegesetzes) wird es erhebliche Auswirkungen auf diesen Baubereich haben.
Ziel kann nur sein, zeitnah eine neue Balance der einzelnen Faktoren zu finden, denn auch der Berufsstand ist betroffen, weil angefragte Planungsdienstleistungen unmittelbar mit der Höhe getätigter Investitionen in Zusammenhang stehen.
Dipl.-Ing. Elmar Dräger
Präsident